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Dein Geschichtspodcast mit Daniel und Solveig

FG033 - Proletarische Frauenbewegung

08.02.2024 48 min

Zusammenfassung & Show Notes

In unserer neuen Folge blicken wir auf die proletarische Frauenbewegung. Anders als den bürgerlichen Damen geht es den Arbeiterinnen um eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und Anerkennung ihrer Arbeitsleistungen. Arbeitende Frauen gab es ohne Zweifel zu allen Zeiten - vor allem in der Heimarbeit. Und so gab es auch schon in früheren Epochen berühmte Frauenproteste, wie den Marsch der "Fischweiber" nach Versailles. 
Wo Frauen sich als Fabrikarbeiterinnen verdingen, werden sie für ihre vermeintlichen "leichten" Tätigkeiten schlechter entlohnt. Gleichzeitig fürchten die männlichen Kollegen eine mögliche Konkurrenz. Dennoch wird die proletarische Solidarität zum wichtigen Moment. Vor allem für die zentrale Figur der Bewegung: Clara Zetkin.
Zetkin engagiert sich in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands und sieht in den bürgerlichen Frauen keine Verbündeten, sondern Vertreterinnen der Bourgeoisie. Die Skepsis ist dabei beiderseitig, denn die bürgerlichen Frauenvereine sorgen sich wegen des revolutionären Geistes im Arbeiterinnenverein. 
Nach Erlangung des Wahlrechts in der Weimarer Republik wendet sich Zetkin vor allem dem Kampf gegen den Faschismus. Als Alterspräsidentin eröffnet noch 1932 den Reichstag und muss den Vorsitz an Hermann Göring übergeben. Ihre Eröffnungsrede, in dem sie noch einmal von einem "Sowjetdeutschland" träumt, könnt ihr hier nachhören: Rundfunkarchiv.

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Transkript

Willkommen zur zweiten Runde Frauen und Gedöns. Ich habe nur deine eigenen Worte wiedergegeben. Willkommen euch zur Fortsetzung der neuen Trias, zu den verschiedenen Wellen an Frauen, die für ihre Rechte gekämpft haben. Letztes Mal hatten wir die etwas zurückhaltenden bürgerlichen Damen, denen es vor allem um ihre Teilhabe an der Bildung ging. Und vor allem haben wir sehr viel Aufmerksamkeit einem Mann geschenkt, der uns über die Naturgegebenheiten informieren wollte und wie er sie versteht. Und ich glaube, heute wird es etwas handfester, denn du hattest gesagt, im zweiten Teil verlassen wir die bürgerliche Sphäre und begeben uns in die Niederung des Proletariats. Die nehmen wahrscheinlich keine Hand vor den Mund oder lagern irgendwelche Geschichtsprofessoren auf, um an ihren Vorlesungen teilnehmen zu dürfen. Wie schaut es aus?
SOLVEIG
00:01:19
Schauen wir mal. Es ist natürlich auch so passend, wir reden über Frauenrechte und der Einzige, der gehört wird, ist sein Mann. Das wird sich heute ändern.
DANIEL
00:01:28
Ich habe ihn gelesen, deswegen war er mir sehr präsent in meiner Erinnerung.
SOLVEIG
00:01:31
Nein, aber es waren wirklich nur Zitate von Männern, die ich mitgemacht habe.
DANIEL
00:01:35
Die Studentin hat doch da ein Zitat oder einen Bericht.
SOLVEIG
00:01:39
Ich habe August Bebel mitgebracht und die jeweilige. Typisch. Heute geht es um die Proletarierin, denn du erinnerst dich, hat es ja ein bisschen vage geendet, dass diese bürgerliche Frauenbewegung.
DANIEL
00:01:54
Das lag ja daran, dass wir uns die Hauptpersonen noch aufsparen für den Paulskirche-Podcast.
SOLVEIG
00:02:02
Beziehungsweise, weil sie ja gewisse Anknüpfungspunkte offengelassen haben seitens anderer Gruppen. Und das ist natürlich auch immer so ein bisschen auch undankbar, wenn du der Erste bist, der irgendein Thema anfängt. Kommen natürlich alle und meinen, aber das hast du nicht gemacht, das hast du nicht gemacht, das hast du nicht gemacht. Man denkt sich, aber irgendwo muss ich ja auch anfangen. Also von daher will ich jetzt auch gar nicht die jetzt die bürgerliche Frauenbewegung so als die bösen alten Damen mit ihren Perlen kennenlernen.
DANIEL
00:02:30
So kam die jetzt im Podcast, glaube ich, auch nicht rüber, nur in der Pause, die wir hatten. Hast du Luise Otto-Peters als grantige Gouvernante oder welches Attribut hast du ihr dazu geschrieben?
SOLVEIG
00:02:41
Deswegen, also ich möchte jetzt nicht, dass dieser Eindruck entsteht, aber es ist eben so der Diskurs. Jemand fängt an und andere äußern sich und dann entwickelt sich das. Und es war eben ja doch ein bisschen, ist ja ein bisschen deutlich geworden, dass das bürgerliche, die bürgerliche Frauenbewegung, also ab den 1860ern sich ja vor allem erst mal um bürgerliche Interessen kümmert. Beziehungsweise, dass diese Damen sich erst mal um ihre Interessen kümmern, was ja auch irgendwie nachvollziehbar ist. Also du kümmerst dich erst mal darum, dass du das tun kannst.
DANIEL
00:03:09
Aber da hat es schon von dem Anspruch gesprochen, dass sie für die gesamte Klasse der Frauen.
SOLVEIG
00:03:13
Genau, und da kommt jetzt eben eine bestimmte Klasse und sagt, also ja, nein, fühlen uns dann nicht so vertreten. Denn es ging ja eben auch um die Frauenbildung und Frauenstudium. Und das ist natürlich schon eine relativ privilegierte Background, den du haben musst, um studieren zu können. Und auch ein August Bebel, mit dem wir eingestiegen sind, hatte ja schon erzählt, dass es gar nicht oder beziehungsweise, dass viele Frauen überhaupt gar nicht diesem bürgerlichen Frauenideal entsprechen können. Von wegen, sie sind alleine, sie sind zu Hause und kümmern sich um den Haushalt, weil sie ja Geld verdienen müssen und arbeiten gehen müssen. Also dieses Ideal, der Mann ist draußen und geht in die Politik und die Frau ist zu Hause und kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Dass das eben wirklich nur für die Besitzhabenden, für das Großbürgertum im Grunde möglich ist, dieses Leben wirklich zu leben. Und dann kommen wir dann eben auch so zum Thema Frauenarbeit, was dann auch so ein Begriff wird, der sich hier formuliert. Und das ist ja auch jetzt keine Erfindung der Moderne, dass Frauen arbeiten gehen oder eben dann Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was ja auch heute immer noch ein Thema ist. Sondern Frauenarbeit hat es immer schon gegeben, nicht nur in der Moderne, sondern auch in der Antike und im Mittelalter. Denn Frauen haben natürlich auch auf den Bauernhöfen mitgearbeitet, in den Handwerkstätten mitgearbeitet.
DANIEL
00:04:35
Und sogar hier, Frau Luther hat sich um das Geschäft gekümmert und hier noch mehr von dem, wie heißt er, der Maler Lukas Kranach, der sich da ein Vermögen aufgebaut hat mit Luther Portraits. Dessen Frau hat natürlich auch die Werkstatt da am Laufen gehalten und dass die Bücher stimmen und gewirtschaftet. Aber das ist ja auch ein Bereich, den man oft den Frauen dann zumindest zu Hause zugestanden hatte.
SOLVEIG
00:04:58
Ja, dass sie den eigenen Haushalt dann führen dürfen und dann das Geld verwalten, das der Mann mitbringt. Und das ist einfach, weil man Frauen immer ausblendet und bei den Zünften, sie hatten kein eigenes Zunftrecht. Aber als Ehefrau vom Meister ist man trotzdem dann Meisterfrau und hat dann auch Aufgaben und arbeitet dann mit. Also es ist jetzt nicht so, dass Frauen erst irgendwie mit der Industrialisierung angefangen haben zu arbeiten und dann erst irgendwie aufs Tableau gekommen sind. Sondern das war immer schon, haben sich die Geschlechter die Arbeit eben geteilt. Und jetzt kommt eben durch diese Vorstellung von der Mann ist aktiv, die Frau ist passiv, kommen dann noch gewisse Sphären hinzu, die man eben als männlich besetzt und weiblich besetzt. Und wir haben jetzt auch im 18. Jahrhundert, beziehungsweise jetzt, also auch schon im 18. Jahrhundert, finden wir Frauen auch in den Manufakturen, die dann später zu den Fabriken werden. Und wir finden sie auch in Minen, wo sie Arbeit machen. Also es gibt auch, gerade auch in England und Schottland gibt es sehr viele Frauen, die in Minen arbeiten.
DANIEL
00:05:58
Weil man da, so ähnlich wie man da Kinder eingesetzt hat, weil sie mit ihren zarten Händen in bestimmte Bereiche kamen, wo dann die grobschlechtigen Herren nicht hinlangten.
SOLVEIG
00:06:07
Ja, beziehungsweise weil sie einfach alle das Geld brauchten. Und weil diese Arbeit so schlecht bezahlt wurde, dass man eben sich nicht darauf verlassen konnte, dass der Mann alleine das bringt. Sondern jeder, der da ist, muss eben Geld verdienen. Und die Unfallgefahr ist ja auch in Fabriken und Minen sehr, sehr hoch. Und wenn dann der Mann sich verletzt und nicht mehr arbeiten kann, dann muss das die Frau dann teilweise übernehmen. Also das Frauenarbeiten ist eben präsent die gesamte Zeit hindurch. Und wir haben eben auch, genau, also auch früher schon Frauen, die eben politische Forderungen stellen und die arbeiten und versuchen, ihre Lebensverhältnisse als Arbeiterin zu verbessern. Beispielsweise der Marsch der Frauen nach Versailles, wo ja dann Louis Sales gezwungen wurde, nach Paris zurückzukehren und Versailles zu verlassen. Und das ist ja tatsächlich bekannt geworden. Das waren ja diese angeblich Fischfrauen vom Markt, die dann hin sind und Brot verlangt haben. Also die sind immer auch dabei gewesen, sind mitgekommen. Sollen sie doch Fisch essen. Da gibt es auch ziemlich gemeine Zeichnungen, die wurden dann später natürlich auch wieder lächerlich gemacht, wie wir das so kennen. Wir haben dann auch im 18., im 19. Jahrhundert die Heimarbeit, also Frauen, die dann doch zu Hause sind und sich um den Haushalt kümmern, dann durch Textilproduktion oder Wäschereinigung Geld dazu zu verdienen. Das ist auch üblich. Und ich hatte mal eine Zahl rausgesucht, also 1875 im Deutschen Kaiserreich arbeitete knapp eine Million Frauen in den Fabriken und da stand, das macht 20 Prozent aus. Ich weiß jetzt nicht von den Arbeitern in Fabriken oder von den Frauen im Kaiserreich, aber es ist auf jeden Fall schon mal eine Zahl. Zusätzlich waren 1,4 Millionen Frauen als Dienstmädchen angestellt und eine halbe Million Frauen hat in der Zeit oder in dem Jahr durch Heimarbeit Geld dazu verdient. Das ist jetzt nicht so selten eben Frauen bei der Arbeit zu sehen. Was das Gemeine dann wird mit der Industrialisierung, ist, dass zunächst einmal die Heimarbeit immer schwieriger wird. Es gibt ja dieses berühmte Gemälde von den schlesischen Webern, wo dann die Frauen ihr Leinen präsentieren und das ist so minderwertig im Vergleich zu dem, was da im elektronischen Webstuhl produziert wurde.
DANIEL
00:08:32
Elektrisch ist es ja noch nicht.
SOLVEIG
00:08:33
Stimmt, also der Dampf.
DANIEL
00:08:35
Oder der Wassermühlen.
SOLVEIG
00:08:37
Oder Wassermühlen, also der maschinell betrieben und da wird denen einfach durch die Industrialisierung immer mehr weggenommen, um was zu verdienen. Und wenn sie dann in den Fabriken arbeiten, wird es ihnen auch so ein bisschen, ja im Grunde doppelt schwer gemacht, weil sie gelten ja als schwächer und zählicher, was manche Frauen vielleicht auch waren, im Vergleich zu Männern.
DANIEL
00:08:59
Die schaffen ja auch nicht so viel und kriegen weniger Geld.
SOLVEIG
00:09:01
Ja, sie werden dann häufig an die kleineren Maschinen gesetzt.
DANIEL
00:09:04
Achso, es gibt extra Frauenmaschinen?
SOLVEIG
00:09:06
Ja, bzw. also die, die halt eben die kleinen, ich habe auch keine Ahnung, wie die in der Fabrik da die Maschinen, aber es wird eben beschrieben.
DANIEL
00:09:13
Okay, die Aufgaben werden danach ausgesucht.
SOLVEIG
00:09:15
Genau, du kriegst die leichteren Aufgaben, in Anführungszeichen, also der Hebel, den du drehen musst, ist scheinbar nicht so groß und dadurch wird ihre Arbeit als leicht angesehen und sie kriegen weniger Geld. Also, weil man ja, der Mann arbeitet genauso viele Stunden wie sie, aber sie kriegt dann eben weniger Geld, weil ihre Arbeit ist ja leichter, weil sie an der kleinen Maschine stehen. Und das wird wahrscheinlich auch damit zu tun gehabt haben, wie eben die männlichen Kollegen die Frauen dann wahrgenommen haben und dass man eben die Männer nicht beleidigen wollte, weil Frauen machen ja nur Hilfsarbeiten und wenn man die jetzt gleich bezahlt, dann ist der Mann vielleicht auch beleidigt und kündigt. Hinzu kommt auch noch, dass es beispielsweise Gesetze für Mutterschutz nicht gab oder auch keine Elternzeit. Das heißt, hochschwangere Frauen mussten zur Arbeit kommen, wenn die nicht gekommen sind, haben sie teilweise keinen Lohn bekommen. Also, es gab keine Verpflichtung, einen Mutterschutz zu bezahlen und wenn eine Frau kurz nach der Entbindung eben nicht zur Arbeit kommen konnte, dann hat sie teilweise auch keinen Lohn bekommen. Also, das konnte man auch nicht einklagen, dass der dann zahlt. Der sagt, du stehst nicht da, dann zahle ich dich. Und das sind natürlich wahnsinnig prekäre Arbeitsverhältnisse und hier greift dann eben auch schon die Frauenbewegung ein, von der wir dann beim letzten Mal gesprochen haben, die sich eben doch auch dafür einsetzen, dass diese Verhältnisse sich bessern, dass die Frauen bessere Arbeitsverhältnisse in den Fabriken bekommen, dass sie Mutterschutz zahlen. Das gibt es dann auch teilweise in Fabriken oder in diesem Verein, dass sie so einen Fonds einrichten und aus diesem Fonds werden dann die einzelnen Frauen bezahlt. Also, es wird jetzt nicht staatlich angerichtet unbedingt, sondern dann über Vereine, wobei das kenne ich jetzt eher aus England, ich weiß jetzt nicht, wie das in Deutschland dann war. Und da kommen wir jetzt nochmal zu diesen männlichen Kollegen, von denen ich gerade schon angesprochen habe. Die Solidarität hält sich dann nämlich in Grenzen zwischen den Männern und den Frauen, weil, wie gesagt, wir haben diese Vorstellung, der Mann ist der Versorger, der geht in die Fabrik, der arbeitet und die Frau bleibt zu Hause und kümmert sich um den Haushalt. Und das ist zwar, wir nennen es dann das bürgerliche Ideal, aber so denken die Arbeiter ja genauso, das ist ja trotzdem deren Vorstellung. Das heißt, wenn ein Mann oder eben ein Arbeiter das nicht finanziell schafft und die Frau mit in die Fabrik muss und die Kinder teilweise ja auch noch mit in die Fabriken sind, dann ist das für die teilweise schon auch so ein Schlag ins Gesicht, ich bin ein Verlierer, ich schaffe das nicht. Also es ist für die auch immer Demütigung, mit Demütigung verbunden. Und an wem lasse ich meine Frustration aus, wenn ich irgendwie geknechtet bin vom System, aber dann gegen das System nicht ankomme? Naja, an der Person, die ja repräsentiert, dass ich bescheid habe.
DANIEL
00:12:12
Das wäre jetzt die Frau?
SOLVEIG
00:12:13
Genau, also es ist nicht nach dem Motto, wir werden beide geknechtet vom Großbesitzer der Fabrik und wir müssen uns solidarisieren, sondern die Frau, die nimmt mir meinen Job weg und deswegen will ich die hier nicht haben und die soll auf jeden Fall nicht so viel bezahlt bekommen wie ich. Also das ist leider die Konsequenz. Und er fühlt sich vielleicht auch gedemütigt, dass Frauen seine Arbeit machen könnten, weil das ist ja…
DANIEL
00:12:39
Dann kann sie ja nicht so schwer sein. Genau. Kann ja jeder machen. Kann dann ja jeder, wenn die Frauen es können. Oder jede.
SOLVEIG
00:12:45
Also das muss man eben auch mitbedenken, dass diese Gedanken nicht nur bei den wohlhabenden Bürgern in ihrem Willen im Kopf sind, sondern auch bei den Arbeitern und die das auch so denken. Was natürlich noch viel stupider ist, weil wenn du das als wohlhabender Mann in deinem Leben so wahrnimmst, dass deine Mutter oder du wirst wahrscheinlich auch von Nannys großgezogen oder von Kindermädchen, aber die Mutter macht den Haushalt und schmeißt Empfänge und Soirenen und der Vater ist irgendwo im Geschäft und nimmt dich dann als Jungen mit, dass du da das Bild im Kopf hast, okay, aber bei einem Arbeiter, wo dann auch deine Eltern schon arbeiten und du auch in einem Milieu aufwächst, wo eigentlich alle arbeiten, ist es schon irgendwie für mich immer so schwierig zu sehen, dass die das auch übernommen haben zum Teil. Aber ihr seht doch, dass Frauen nicht so schwach und zierlich sind, wie es euch erzählt wird. Du siehst es auch jeden Tag.
DANIEL
00:13:39
Aber die sind ja in der kleinen Maschine, also sehe ich nur das, was ich sehen will.
SOLVEIG
00:13:42
Genau, also trotzdem ist eben das Männer-Ego da doch empfindlich. Also Frauen sind trotzdem irgendwie kleiner und schwächer und verweichlichter, weil auch einfach, das sehen wir ja auch in der Sprache, alles was weich ist, was schwach ist, wird mit Frauen gleichgesetzt. Das lehnt man ab. Als Mann darf man nicht weibisch sein. Also das ist eben überall auch präsent. Da können die sich auch nicht frei von machen, offensichtlich. Zum Teil schon, da kommen wir dann auch zu. Manchen gelingt es aber eben scheinbar nicht allen. Und genau, was ich eben schon angesprochen hatte, also ich hatte ja angesprochen, dass die etablierte oder sich langsam etablierende Frauenbewegung sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterin einsetzt. Da ist dann aber auch das Problem, das sieht man dann auch häufig, dass die immer viel für die reden, aber scheinbar selten dann mit den Arbeiterinnen. Also es geht dann manchmal dann auch darum, wir müssen die Arbeitsbedingungen in Minen oder so verbessern und dann dürfen Frauen aber keinen, nun dann tragen die Minenarbeiterinnen Hosen, weil es für sie besser ist, darauf zu arbeiten, aber da muss man dann dafür sorgen, dass sie keine Hosen tragen, weil das ist ja Sittenverfall und sowas.
DANIEL
00:14:55
Das widerspricht der Natur.
SOLVEIG
00:14:57
Das widerspricht der Natur, also da sind dann manchmal wirklich so Dinge, wo man merkt, er hilft hier gerade nicht und das ist eben so ein Problem. Also wir haben zwar eine Lobby, aber die ist irgendwie nicht da, wo wir sie bräuchten.
DANIEL
00:15:11
Das erinnert mich so ein bisschen, ich glaube, das waren die Narodniki in Russland, meistens natürlich auch so Studenten, aufmüpfige Studenten, die sagen, wir müssen die Bauern befreien oder wir müssen das Land neu organisieren und so weiter. Da sind die aufs Land und die Bauern so, was wollt ihr denn eigentlich von uns? Wir kennen gar nicht, worum es euch geht. Das ist irgendwie so ein Ding. Etwas von Romantik.
SOLVEIG
00:15:30
Sie meinen es ja auch gut, aber es bringt halt nichts. Es geht so an der Realität vorbei. Und dann haben wir auch die großen Köpfe wie Marx, der sich dann da auch so äußert und Marx ist ja auch dadurch bekannt geworden, dass er sich gegen die Unterdrückung der Frau ausspricht und sagt, die Frau ist dem Mann gleichgestellt, erklärt dann aber leider gleichzeitig, dass die Unterdrückung der Frau reine, reine Konsequenz des Kapitalismus ist und dass sobald der Sozialismus durchgesetzt wurde, dann wird das alles vorbei sein und Mann und Frau werden gleichgestellt sein. Also wir müssen da überhaupt gar nicht drüber nachdenken. Wir müssen uns da noch überhaupt kein Konzept überlegen, wie wir das machen. Das wird automatisch von selbst passieren. Das ist eine gewisse Naivität.
DANIEL
00:16:17
Das ist so, wie die Bürgerlichen davon ausgingen, wenn die Leute einmal gebildet werden, dann werden sie es auch schaffen im Leben.
SOLVEIG
00:16:23
Dann wird auch die Kriminalität nicht mehr da. Und wo man so denkt, Kapitalismus, hip oder hopp, es hat auch im Feudalismus eine Unterdrückung der Frau gegeben. Es ist jetzt nicht eine Erfindung der Industrialisierung gewesen. Von daher denkt man, das ist jetzt auch eine gewisse Naivität. Aber gut, Marx sagt, das wird von selbst kommen. 1867, also so in der gleichen Zeit, ein bisschen später, wie der Allgemeine Deutsche Frauenverein, gründet sich der Erste Arbeiterinnenverein, nämlich der Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein. Und der wird sofort verboten. Wann war das? 1867. Genauso wie der Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen. Der wird auch sofort verboten.
DANIEL
00:17:13
Das neigt in dieser Zeit schnell dazu, alles, was Arbeiter und Arbeiterinnen machen, zu verbieten.
SOLVEIG
00:17:19
Genau. Da sind auch die Sozialistengesetze, die später kommen.
DANIEL
00:17:24
Die machen es einfach schwieriger.
SOLVEIG
00:17:27
Ein Verein hat schneller verboten als eine Partei. Es macht es auch schwieriger für Arbeiterinnen, sich in Vereinen zusammenzustellen, wie für die bürgerlichen Frauenvereine, die sich ab den späten 60ern konstituieren, weil die einfach als Arbeiter sofort verboten werden. Deswegen kommt die dann auch so ein bisschen später. Ich habe jetzt einmal eine sehr bedeutende Frau mitgebracht. Die wird hier auch heute sehr stark zu Wort kommen. Sie ist nicht die einzige Vertreterin der proletarischen Frauenbewegung oder Arbeiterinnenbewegung, wie man es auch nennen möchte. Aber sie ist eigentlich die bekannteste und lauteste gewesen. Das ist Clara Zetkin. Clara Zetkin stammt, glaube ich, aus dem Raum von Leipzig. Ich habe mir nicht notiert, wo sie geboren wurde. Ich habe mir nur notiert, dass sie 1878 ihre Ausbildung zur Fachlehrerin für moderne Sprachen in Leipzig abgeschlossen hat. Und sie hat eine starke Förderung durch Auguste Schmidt erhalten. Und Auguste Schmidt, wenn es hängen geblieben ist, war eine der Damen, die ...
DANIEL
00:18:31
War die vom ADF?
SOLVEIG
00:18:35
Ja, die hat Otto Peters zusammen den ADF gegründet. Das sind die einflussreichsten, bekanntesten Frauen aus dieser Zeit. Wir sind ja auch im Grunde schon in der nächsten Generation. Also Clara Zetkin ist eben ein Schützling von Auguste Schmidt. Und sie geht auch genau den Weg, den diese bürgerliche Frauenbewegung ja proklamiert hat und gesagt hat, so können wir Frauen fördern. Sie wird als Lehrerin ausgebildet. Sie erhält eben diese Bildung und wir gleichen ja in die Sozialistische Arbeiterpartei ein. Und 1882 zieht sie dann nach Paris um mit ihrem Lebenspartner, dem russischen Sozialisten Ossip Zetkin. Der muss nämlich das Land verlassen, denn er ist offensichtlich Sozialist. Das geht nicht mehr im Deutschen Kaiserreich.
DANIEL
00:19:23
In Russland meinst du, das ist ja noch schlimmer?
SOLVEIG
00:19:26
Ja, beziehungsweise ... Nach Deutschland, da haben die sich kennengelernt und jetzt gehen sie zusammen nach Paris. Sie heißt Clara Zetkin, sie nimmt seinen Namen an, die haben aber nicht geheiratet, weil in Paris fehlten ihnen irgendwelche Unterlagen, um sich verheiraten zu können. Aber sie leben dann zusammen und dadurch, dass sie seinen Namen trägt, haben sie sich wahrscheinlich auch als verheiratet verstanden. Und sie leben dann bis 1889 in Paris, wo sie dann auch marxistische Schriften studiert. Und dann auch auf dem Internationalen Arbeiterkongress spricht über die Befreiung der Frau. Sie engagiert sich eben sehr früh auch schon im sozialistischen, wie nennt sich das, Milieu ist es nicht, aber in dem Bereich bringt sie sich eben ein. Im gleichen Jahr stirbt ihr Partner der Ossip an Tobakulose, worauf sie dann wieder zurück nach Deutschland kehrt. Und ich habe, wie gesagt, wie versprochen, ein paar Zitate von ihr mitgebracht, wie sie so die Rolle der Frau definiert, im Sozialismus getragen mit sozialistischen Ideen. Und ja, ich werde einfach mal vorlesen und dich dann fragen, was so hängen geblieben ist. Das ist stressig. Das stand schon 1892, also sie ist jetzt wieder zurück. Die Produktionsverhältnisse haben die Stellung der Frau in ihrer ökonomischen Grundlage revolutioniert. Ihrer Tätigkeit als Haushälterin und Erzieherin in der Familie die Berechtigung, ja die Möglichkeit geraubt. Die neue Rolle der Frau bewirkt ihre ökonomische Unabhängigkeit vom Manne, versetzt damit dessen politische und gesellschaftliche Vormundschaft über das Weib den Todesstoß. Die vom Manne befreite Frau gerät jedoch in der heutigen Gesellschaft in die Abhängigkeit vom Kapitalisten. Das Haus zu einer Lohnsklavin. Aufgabe der Sozialistischen Arbeiterpartei ist es, die Lösung der Frauenfrage durch Organisation und politisch-ökonomische Schulung derjenigen Frauenschichten anzubahnen, deren Tätigkeit infolge der neuen Produktionsverhältnisse am umfassendsten und gründlichsten umgestaltet ist. Durch die Organisation der Industriearbeiterinnen.
DANIEL
00:21:39
Die vom Manne befreite Frau.
SOLVEIG
00:21:42
Sehr schön. Sie war da positiv. Also ich muss gestehen, für mich sind Sozialisten wahnsinnig schwer zu lesen. Ich bin da nicht so gepolt. Es ist arbeitslich. Es hat so einen ganz klaren... Es kommen noch ein paar Sachen, wo ich irgendwann dachte...
DANIEL
00:22:09
Von der Haussklavin zur Lohnsklavin. Da gibt es die Sozialistische Arbeiterpartei oder ist sie dann der SPD? SAP ist doch das, was heute die SPD ist. Hier formuliert sie auch nochmal die Position der Frau.
SOLVEIG
00:22:25
Ähnlich wie auch die bürgerliche Frauenbewegung, die eben erklärten, durch Bildung wird die Frau unabhängig, kann dann Berufe eingehen, wodurch sie ökonomisch unabhängig wird. Da sind sie sich einig, wenn die Frau ökonomisch unabhängig ist, wenn sie ihr eigenes Geld verdienen kann, dann ist sie unabhängig vom Mann und kann sich selbst regieren. 1894 schließen sich die ganzen Frauenverbände. Der ADF ist nicht der einzige Frauenverband, der sich gegründet hat. Die schließen sich alle zusammen und dann gibt es den Frauenverein der BDF. Der wird bei den Radikalen immer wieder aufkommen. Es ist im Grunde dieser Dachverband. Da wird diskutiert, sollen wir die sozialdemokratischen Frauenvereine mit aufnehmen oder nicht. Wir sind in dieser Zeit, wo man einfach Angst hat. Wenn wir uns zu stark mit denen sozialisieren und verbinden und die verboten werden, dann werden auch wir verboten. Das ist immer noch ein Damoklesschwert mit den Arbeitervereinen. Wird man jetzt verboten oder nicht? Ist man zu radikal oder nicht? Da haben sie wahnsinnige Angst und es wird diskutiert, sollen wir das tun? Bevor das groß entschieden wurde, erklärt Clara Zetkin, die Damen können Gift darauf nehmen, dass es nicht einer einzigen zielbewussten oder nur im Trauma eingefallen wäre, Anschluss an den Verband zu suchen. Die deutsche Arbeiterinnenbewegung ist über die Zeit frauenrechtlicher Harmonieduselei längst hinaus. Denn die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen erstreben nur einen Kampf Geschlecht gegen Geschlecht. Die proletarischen Frauen dagegen erstreben einen Kampf von Klasse zu Klasse.
DANIEL
00:24:26
In enger Ideen und Waffengemeinschaft mit den Männern ihrer Klasse.
SOLVEIG
00:24:30
Da kommen wir jetzt zum Krux, warum das Spoiler-Alarm nicht geklappt hat. Anstatt sich hier zu solidarisieren und zu sagen, wir als Frauen stehen zusammen, egal welcher Klasse wir angehören, wird hier jetzt diese klare Trennung gezogen. Auch von beiden. Es sind nicht nur die bürgerlichen Frauen, die sagen, wir wissen jetzt nicht. Dann wird eben gesagt, eigentlich seid ihr auch unsere Feinde. Das erklärt Clara Zetkin in dem Buch, was sie geschrieben hat, der Student und das Weib von 1899. Während die proletarische Frauenbewegung in erster Linie zum Klassenkampf gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung gezwungen ist, muss die bürgerliche Frauenbewegung gegen die sozialen Vorrechte und die soziale Herrscherstellung des männlichen Geschlechts. Denn die soziale Unterbürtigkeit des weiblichen Geschlechts ist es, welche der bürgerlichen Frau die Freiheit der Entwicklung und des Auslebens verwehrt. Der Proletarierin dagegen wird ihr freies Menschentum durch die Klassenherrschaft der Bourgeoisie vorenthalten, durch die Ausbeutung und soziale Unterbürtigkeit, welche auf der Arbeiterklasse lasten. Sie wird als Proletarierin der sozialen Gleichberechtigung als Geschlechtswesen, aber vor allem zu dem Zwecke, mit aller Wucht gegen die kapitalistische Ordnung kämpfen zu können. Ihre soziale Befreiung erringt sie nicht, wie die bürgerliche Frau und zusammen mit ihr im Kampfe gegen den Mann ihrer Klasse. Sie obert sie vielmehr zusammen mit dem Mann ihrer Klasse im Kampf gegen die sogenannte bürgerliche Gesellschaft.
DANIEL
00:26:20
Klassenkampf ist wichtiger als Geschlechterkampf.
SOLVEIG
00:26:23
Das ist im Grunde, was sie hier sagt. Wir splittern uns auf. Scheinbar gibt es kein Problem zwischen Arbeitern und ihren Frauen.
DANIEL
00:26:32
Laut Klara Zetkin nicht. Laut Klara Zetkin hier nicht.
SOLVEIG
00:26:38
Beziehungsweise blendet sie es eventuell auch aus, um zu erklären, wir als Arbeiter werden von der Bourgeoisie unterdrückt. In dem Zuge ist es nicht so, dass wir die Bourgeoisie vernichten wollen. Was Marx sagt, nach dem Motto, die Ungleichheit der Frauen und Männer, die kommt ja durch den Kapitalismus. Wenn wir den abgeschafft haben, wird sich das von selbst regeln. Das kommt hier auch im Grunde durch. Solange müssen wir es erdulden. Und scheinbar auch gegen die anderen Frauen sein, die unsere Situation mit besser machen wollen. Es gibt bestimmt überzeugte Sozialisten, die mir jetzt erzählen, dass ich völligen Quatsch rede. Aber ich sehe es hier in Problemen. Das Ziel sollte doch sein, zusammenzugehen. Sich dafür einzusetzen, dass man mit den Männern besser klarkommt. Die haben aber nichts miteinander zu tun. Das merkt man hier. Die Klassen, die entstanden sind durch die Industrialisierung, dass der Graben so groß ist, dass man nicht sehen kann, dass man zusammenarbeiten müsste. Das finde ich sehr schade. Da hätte man mehr erreichen können von beiden Seiten aus. Da scheint das Interesse nicht so groß zu sein. Clara Zetkin hat sich in ihrem Buch, was der Titel auch erwarten lässt, auch zum Frauenstudium geäußert. Es geht ja um den Studenten. Ich bin nicht so sehr ernst. Clara Zetkin muss sich nicht auch noch mit den Sachen auseinandersetzen. Allerhand ideelle und sogenannte wissenschaftliche Gründe machen die Akademiker gegen die freie Berufsbildung und Berufstätigkeit der Frau geltend. Aber weit ausschlaggebender als diese fällt ein sehr materieller Grund ins Gewicht. Die Konkurrenzfurcht. Die Herren Gelehrten bestreiten das. Die arme Wissenschaft.
DANIEL
00:28:54
Weil die Gebärmutter einen Teil davon gegessen hat.
SOLVEIG
00:28:57
Ja. So weiß das weibliche Geschlecht mehr an Hirnmasse auf. Dass aber das absolute Gewicht der Hirnmasse allein nicht für die geistige Begabung ausschlaggebend ist, beweist eine Tatsache. Das Hirn einer stattlichen Reihe hervorragender Gelehrter blieb an absolutem Gewicht hinter dem Durchschnitt des Frauenhirns zurück. In einzelnen Fällen sogar recht erheblich. Nach der Theorie gewisser wohlweise Herren und Gelehrten ihre geistige Befähigung nach noch unter das weibliche Geschlecht zu setzen.
DANIEL
00:29:40
Wo hat sie denn die Daten dafür her? Hat sie die selber gewogen?
SOLVEIG
00:29:46
Wo hat sie die Gehirne gefunden? Manche Gehirne wurden doch aufbewahrt. Die wurden doch rausgenommen und in Alkohol eingelegt.
DANIEL
00:29:55
Haben sie das Gehirn von Newton aufbewahrt?
SOLVEIG
00:29:58
Es gibt eine Publikation darüber, wie viel das Gehirn wiegt. Univrier in Paris hat das getestet. Es geht dann auch weiter. Ich dachte, das ist nicht euer Ernst. Heute kommen sie doch mit, Frauengehirne sind doch kleiner als Männergehirne. Deswegen denken Frauen alles. Es kann nicht wahr sein, dass sie seit 100 Jahren über das Gewicht von Gehirnen sprechen. Sie führt es dann auch weiter aus. Es gibt ja keine intellektuellen Frauen. Frauen haben in der Wissenschaft nichts geleistet. Sie dürfen ja auch nicht an die Universität. Wie sollen sie denn was leisten? Aber wenn ich mir angucke, wie viele Genies es gegeben hat, in Hochrechnung mit all den Idioten auf der Welt, dann fällt es auch für das männliche Geschlecht nicht möglich aus. Die hat schon auch gewisse Sales gehabt. Auch hier werden wieder Steine in den Kopf gestellt. Frauen sind ja eben zu klein. Der Punkt ist, sie äußert sich schon gegen diese Vorstellungen. Sie sagt, es ist alles Quatsch, was sie erzählen. Frauen sind genauso schlau und fähig, zu arbeiten und Studium zu machen. Aber auch hier scheint der Weg auseinander zu gehen zwischen der bürgerlichen Frauenbewegung und der Arbeiterinnenbewegung. Am 19. März 1911, wir gehen schon zügig voran in der Zeit, findet der erste internationale Frauentag statt. Das ist natürlich auch so. Sozialisten und Sozialdemokraten sind ja auch für Internationalität. Die treffen sich und organisieren sich auch viel international. Dieser Frauentag findet natürlich am 19. März statt. Am 19. März?
DANIEL
00:31:43
Im März unruhen.
SOLVEIG
00:31:46
Ach so. Jetzt dachte ich, Mensch. Es sollte der 18. sein. Ja, aber es ging ja am 18. und 19. Beziehungsweise sollte das dann auch so ein bisschen anknüpfen. Am 18. haben die und jetzt kommen wir am 19. Sollte das so Hand in Hand gehen. Dieser erste Tag findet am 19. März 1911 statt. Er war ein Jahr zuvor auf der 2. internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen gerufen worden. Diese Idee stammte ursprünglich von der US-Amerikanerin May Wood Simmons. Die wollten das in jedem Land machen. Es hat nicht jedes Land mitgemacht, aber im Deutschen Kaiserreich hat das vor allem Clara Zetkin und Käthe Duncker umgesetzt, dass dieser internationale Frauentag stattfindet. Der wurde dann später auf den 8. März verlegt. Deswegen haben wir auch hier in Berlin den 8. März als Frauentag oder eigentlich Frauenkampftag genannt. Das ist der richtige Titel. Aber deswegen ist das auch in den sozialistischen Staaten
DANIEL
00:32:52
immer so groß begangen worden.
SOLVEIG
00:32:55
Genau, weil was war am 8. März? Der Frauentag? Ja, aber das kam ja erst später.
DANIEL
00:33:04
Was war denn am 8. März? Muttertag früher?
SOLVEIG
00:33:07
Um Gottes Willen, die hauen dich. Der wurde vom 19. auf den 8. März eingelegt, weil man gesagt hat, da ist 1917 die Februarrevolution in Russland gestartet. Ah, okay. In Russland war Februar, hier war schon März. Diese Februarrevolution ist ja durch mehrere Streiks losgetreten worden. Ein Streik war von Arbeiterinnen in der Fabrik Aiwas. Das waren Frauen. Die haben mitgeholfen, den Zaren zu stürzen und damit den Sozialismus in Russland zu gebären, hervorzubringen. Deswegen wird der auf den 8. März gelegt. Wir haben dann eben die Erklärung von 1910 schon für diesen Tag, warum man den unbedingt haben möchte. Es steht drin, im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats. In ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient.
DANIEL
00:34:16
1910 war es aber noch im 19.
SOLVEIG
00:34:19
Genau. 1910 haben sie festgesetzt, dass es jetzt immer einen Tag geben sollte, wo Frauen sich organisieren und wählen. Das dürfen auch im Kaiserreich Frauen nicht. Das dürfen sie auch in anderen Ländern nicht. In England nicht, in den USA nicht, in Frankreich nicht.
DANIEL
00:34:40
Wo war das denn? War das nicht Finnland? Das gehört ja noch zum Russischen Reich. Aber ich glaube, da gab es doch schon eine Frauenbeteiligung. Auf jeden Fall waren die die Ersten. Das kann sein.
SOLVEIG
00:34:55
Das Ziel dieses Tages ist das Frauenwahlrecht. Weil auch hier wieder gesagt wird, erst wenn wir politisch gleichgesetzt sind, wenn wir die gleichen Möglichkeiten haben, wie politisch, dann werden wir wirklich gleichgestellt sein. Da ist man sich schon bewusst, vielleicht sollten wir doch nicht auf den Sozialismus warten. Vielleicht sollten wir das doch schon mal vorantreiben. Es gibt dieses sehr berühmte Plakat von dieser Frau, die in so einem schwarzen Kittelhemdkleid barfuß so eine rote Fahne weht. Und da steht dann eben drauf, heraus mit dem Frauenwahlrecht. Und da heißt es auch, dass dieser Entwurf eben auf Clara Zetkin zurückgeführt wird. Und ganz viele ein Problem mit diesem Plakat hatten, weil die Frau da barfuß steht und so kämpferisch und fordernd. Und das hat ihnen gar nicht gefallen. Also auch hier wieder gewisse Vorstellungen, die ja nicht zusammengehen. Arbeiterinnen setzen sich in der Öffentlichkeit vermehrt auch für das Frauenwahlrecht ein, was eben auch manche von den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen gar nicht haben möchten. Da sind nicht alle der Meinung, dass Frauen wählen sollten. Da kommt es eben auch noch mal zur Spaltung innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung.
DANIEL
00:36:13
Aber die würden doch jetzt nicht sagen, weil die Frauen Politik nicht verstehen. Zum Schutz der Familie vielleicht auch.
SOLVEIG
00:36:22
Wir hatten es ja dann doch einige, die auch an diesem klassischen Frauenbild festgehalten haben. Die schon gesagt haben, es gibt eben Frauenbereiche und es gibt Männerbereiche. Und es geht einfach nur darum, dass die Frau eben Bildung hat und sich dann in ihrem Leben besser einbringen kann. Und sich halt dann auch von dem Mann trennen kann, wenn der gemeint zu ihr ist. Man merkt, wie tief die dann auch in diesem Denken sind und sich auch so schwer davon lösen können. Obwohl, wenn man dann länger darüber nachdenkt, das eigentlich nicht so richtig Sinn ergibt. Aber es gibt eben tatsächlich doch einige, die dann später auch mit dem Frauenwahlrecht dann doch auch d'accord sind. Beziehungsweise auch so eine Helene Lange, die sagen dann schon, ja, wir wollen auch das Wahlrecht. Aber es gibt eben auch verschiedene Strömungen und es gibt eben auch welche, die dann sagen, nee, das Wahlrecht brauchen wir nicht. 1919, mit der Verfassung der Weimarer Republik, erhalten die Frauen das Wahlrecht tatsächlich. Und man muss auch dazu sagen, dass es jetzt zwischen 1914 und 1918 insgesamt sehr ruhig wird, was so Frauenbewegungen angeht, weil wir den Ersten Weltkrieg haben. Und im Grunde alle sagen, okay, wir machen jetzt einen Burgfrieden. Bis der Krieg zu Ende ist, wir stehen dann zusammen. Gucken, dass wir was zu essen kriegen. Genau, also wir haben jetzt andere Probleme. Und 1919 haben wir dann eben die Weimarer Republik, die tatsächlich den Frauen das aktive und passive Wahlrecht zugesteht. Angeblich auch nur unter Druck. Müssen sie dann doch noch mal nachlegen und sagen, dass es dann gemacht wurde. Und Clara Zetkin war dann tatsächlich von 1914 bis 1918 als Abgeordnete der KPD im Reichstag. Also die blieb dann die gesamte Zeit durchgängig. Sie war, glaube ich, auch mit die längste Politikerin, vor allem auch Politikerin, die eben im Reichstag dann war. Und hat dann natürlich auch so ein bisschen sich politisch in dem Sinne umgeschwenkt, dadurch, dass das Frauenwahlrecht ja jetzt vorhanden war, dass sie sich eben äußern konnte. Gerade dann auch mit dem Zufall, mit der Zunahme von faschistischen Ideologien, hat sie sich dann auch mehr dem Kampf gegen den Faschismus gewidmet. Und das fand ich eben auch ganz interessant, weil sie schreibt 1923 ein Buch, der Kampf gegen den Faschismus, auf Reaktion von Mussolinis Marsch auf Rom, auf Reaktion von Hitlers Marsch auf Berlin, der ja eben nicht gelungen ist. Und erklärt dann, das Proletariat hat im Faschismus einen außerordentlich gefährlichen und furchtbaren Feind vor sich. Der Faschismus ist der stärkste, der konzentrierteste. Er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Bis jetzt ist reichlich Unklarheit über den Faschismus vorhanden gewesen. Die Meinung wurde vertreten, dass der Faschismus nichts sei als gewalttätiger bürgerlicher Terror. Der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern große soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Und das ist ganz interessant, weil andere Vertreter, gerade eben auch im linken sozialistischen Spektrum, immer sagen, nein, der Faschismus ist die Reaktion der Bourgeoisie darauf, dass wir als Kommunisten, Sozialisten stärker werden. Und die wollen ihre Macht zurück. Aber sie schreibt eben so, ne, auch im Proletariat, also innerhalb der Arbeiterbewegung haben die Fuß und fischen da. Eine Zielgruppe. Das fand ich ganz interessant, dass das schon auch von denen erkannt wurde und sie das eben auch offen anspricht. Sie hat sich dann immer mehr im Laufe ihres Lebens auch an Moskau orientiert. Sie ist dann auch Ende der 1920er Jahre nach Moskau gezogen und reist dann, also sie hat bei Moskau gelebt und reist dann am 30. August 1932 nach Berlin, um als Alterspräsidentin den Reichstag zu eröffnen. Ach, das ist ja ein Ding.
DANIEL
00:40:31
Dann hat sie von Moskau aus aber hier die Wahl gewonnen, dass sie dann erstmal ins Parlament kommen muss. Ja, also sie war immer da.
SOLVEIG
00:40:40
Achso, aber hat sie in Moskau gelebt? Ja, also bei Moskau hat sie da gewohnt. Sie war dann auch schon recht alt, sie war dann 75, aber das, wie sie gehalten hat 1932, ist erhalten geblieben. Wie sie das dann eröffnet. Das ist so ein bisschen gemein, weil sie ist 75 Jahre alt und sie war auch schwer krank und hat sich dann da hinbewegt und meinte noch, ich als alte Invalidin. Und deswegen klingt auch ihre Stimme sehr schwach. Achso, die ist aufgezeichnet? Ja, das ist eine Tonaufzeichnung und sie klingt dann wirklich wie so eine kleine alte Oma.
DANIEL
00:41:16
Ja gut, das ist wahrscheinlich auch die Technik nochmal dran spielt.
SOLVEIG
00:41:19
Genau, das ist die Technik dran und wenn sie sich ja auch nach eigener Aussage körperlich nicht fit gefühlt hat. Und dann erzählt sie eben auch und man erzählt dann, ja und trotz meiner angeschlagenen Gesundheit hoffe ich immer noch auf den Tag, dass ich eben als Alterspräsidentin in diesem Reichstag irgendwie den Reichstag von Sowjetdeutschland eröffnen kann. Also die ist so weit links ist sie dann. Und das ist auch so bezeichnend, und das ist auch so bezeichnend irgendwie und auch so Tragik der Geschichte. Wer ist Reichstagspräsident geworden? 32? Göring. Und nach dieser Rede, wo sie erklärt, sie träume von dem Tag, wo sie eben den Reichstag in Sowjetdeutschland eröffnen kann, übergibt sie anschließend die Sitzungsleitung an Hermann Göring. Was? Also sie reist dann zurück nach Russland und stirbt dann im Juni 1933 im Hohen Alter. Also sie hat es noch miterlebt, wie ihre Träume sich aufgeüßt haben und ist dann eben gestorben. Und es ist schon so ein bisschen durchgekommen, Sklara Zetkin gerade dann auch in der späteren Zeit ist nicht ganz unumstritten mit ihrer politischen Ausrichtung. Also es gibt dann eine Bewertung in dem Handbuch Deutsche Kommunisten von 2004, wo sie dann eingeordnet wird, die Widersprüche ihrer Haltung scheinen symptomatisch für jene kommunistischen Führer, die trotz aller Bedenken gegen die Politik Stalins und die Entwicklung der KPD nicht nachdrücklich dagegen opponierten, weil sie Idol Russland nicht zu kritisieren wagten und so dem Stalinismus den Weg erleichterten. Das ist eben so das Thema. Sie hat dann aber irgendwie keine Kritik an Stalin, was natürlich dann doch ein Problem wird.
DANIEL
00:43:10
Richtigen Terrorjahre beginnen da, glaube ich.
SOLVEIG
00:43:13
1933 war, glaube ich, auch noch nicht so viel los. Sie wird dann immer so mit da hineingeworfen nach dem Motto, die die Stalin so toll fanden. Wo man denkt, ja, aber sie war halt auch schon sehr, sehr alt. Es entschuldigt nicht alles, aber sie hat halt dann auch nicht alles mitgekriegt.
DANIEL
00:43:31
Sie war jünger als beide Herren, die amerikanische Präsidenten sind oder sein wollen.
SOLVEIG
00:43:37
Aber vor 100 Jahren, denn ich war 1975 schon noch mal eine andere Hausnummer als heute. Das war jetzt einmal im Schnelldurchlauf die Arbeiterbewegung, eben am Beispiel von Clara Zetkin. Weil natürlich kann man das alles noch viel ausführlicher machen. Man kann da noch mehr ins Detail gehen. Aber ich wollte eben diese Folgen so ein bisschen knapp und kurz und knapp halten, dass man so als Einstieg nehmen kann, die Grundlagen erklären, warum es eben Unterschiede gibt und vor allem klar machen, dass es Unterschiede gibt und wo sie sich dann eben auch unterscheiden, wo sie zusammengehen, wo sie sich trennen. Und das im Grunde so ein bisschen als Anstoß, wenn man sich da jetzt mehr einarbeiten möchte, als Einstieg zum Arbeiten. Ja, aber in dem Sinne, es soll jetzt nur so ein bisschen den Geschmack wecken und es soll jetzt nicht die komplette Frauenbewegung abhandeln. Da gibt es verschiedene Plattformen, die ich da mehr empfehlen würde als mich. Wobei ich das hier ja auch mehr zum Spaß mache und nicht Expertin.
DANIEL
00:44:46
An den Zitaten von Clara Zetkin ergötzen.
SOLVEIG
00:44:49
Ja, Sozialisten sind immer eine Nummer für sich.
DANIEL
00:44:52
Gibt es denn die Tonaufnahmen verfügbar von Ihnen im Reichstag?
SOLVEIG
00:44:55
Ja, die ist verfügbar. Ich weiß aber nicht, ob du die einblenden könntest, weil die sind vom Rundfunkarchiv.
DANIEL
00:45:04
Aber sind denn diese Arbeiterinnen mal auf die Straße gegangen zu Tausenden und haben für das Wahlrecht demonstriert? Es gibt doch diese Aufnahmen.
SOLVEIG
00:45:16
Ja, an den internationalen Tagen unter anderem. Aber dieser internationale Frauenkampftag, also erst am 19. und dann am 8. März, das waren schon Großdemonstrationen.
DANIEL
00:45:28
Ich dachte, das waren ja so Meetings.
SOLVEIG
00:45:31
Nein, die haben das ja auch wirklich als Kampftag, teilweise auch als Streiktag. Ich weiß nicht, ob sie es geplant haben, ob sie dann wirklich auch Streiks durchgeführt haben. Aber das war so der Gedanke, dass man das wirklich jetzt erkämpft, nicht wie Clara Zetkin es nannte, die Frauenrechtlerinnen-Harmonie-Duselei, dass man da jetzt ein paar Bücher schreibt und ein paar Zeitungen und Leseklubs hat, sondern man geht wirklich auf die Straße und kämpft jetzt für das, was man haben möchte. Da hat man dann wieder die Unterschiede, wie man sich dann auch in der Öffentlichkeit gebärdet. Das ist wahrscheinlich auch für Arbeiterinnen und arbeiterliche Damen, die dann doch auch von klein auf nochmal auf höheren Töchterschulen gelernt haben,
DANIEL
00:46:22
wie man sich so benehmen hat. Ja, wenn ihr noch eine Arbeiterin kennt, deren Name heute nicht gefallen ist und von der ihr glaubt, sie ist unbedingt eine besondere Würdigung wert, dann schreibt uns doch gerne, was ihr davon haltet, oder bei Twitter oder Insta oder Facebook. Und ansonsten freuen wir uns natürlich, dass ihr dabei seid und bleibt dabei, denn das alles ist hier extra kurz gefasst, damit Solveig, glaube ich, noch mehr Zeit hat für die dritte Folge, wenn es um die radikalen Frauen geht. Und ihr merkt schon, sie ist auch ziemlich radikalisiert mittlerweile. Also bleibt gespannt und bei Flurfunk Geschichte dabei und wir freuen uns, wenn ihr auch die nächste, dritte Folge den Höhepunkt der Frauen, der größten Frauenwelle, die radikale Welle, mitverfolgt. Da höre ich schon die Sozialisten draußen aufheulen.
SOLVEIG
00:47:20
Okay, ich bin gespannt,
DANIEL
00:47:23
auch auf eure Kommentare. Macht's gut bis dahin. Tschüss. Wann sind denn die Radikalen?
SOLVEIG
00:47:35
Die sind zur gleichen Zeit.
DANIEL
00:47:38
Ach, die sind zur gleichen Zeit.
SOLVEIG
00:47:41
Und die LHZ-Kind ist nicht radikal genug?
DANIEL
00:47:44
Nein, offensichtlich nicht. Sie ist nicht bürgerlich, darum geht es doch.